Wälder gehören zu den artenreichsten und produktivsten Lebensräumen der Erde und haben viele Funktionen. Sie erzeugen Sauerstoff, binden Kohlenstoff und regulieren das Klima. Sie bieten Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen. Sie schützen die Böden und filtern das Wasser. Der Mensch beansprucht ihre natürlichen Ressourcen – er nutzt Bäume für Holzprodukte und Energie und den Wald als Erholungsraum.
Wie steht es um diese Funktionen im Wald in Deutschland? Wie würde die Waldvision den Wald verändern? Mit Hilfe des Waldmodells FABio lassen sich diese Fragen beantworten. Anhand von neun Fragen stellt das Öko-Institut die wichtigsten Ergebnisse vor.
Ein Drittel Deutschlands ist bewaldet. Auch global bedecken Wälder etwa 30 Prozent der Landfläche. Aber Wald ist nicht gleich Wald. Je nachdem wie der Wald beschaffen ist, kann der Wald seine Funktionen besser oder schlechter erfüllen. Eine nachhaltige Nutzung zeichnet sich dadurch aus, dass alle Waldfunktionen auf lange Sicht erhalten bleiben.
Die Ansprüche an den Wald steigen – auch in Deutschland. Vor allem die Nutzung von Energieholz steigt. Es gibt immer noch viele schützenswerte Flächen, die aber intensiv bewirtschaftet werden. Für den Naturschutz wichtige Eigenschaften des Waldes, wie alte und abgestorbene Bäume gibt es zu selten.
In der Waldvision wagt das Öko-Institut einen Blick in die Zukunft und analysiert in verschiedenen Szenarien, welche Potenziale eine ökologischere Bewirtschaftung hat. Was passiert, wenn wir Wäldern weniger Holz entnehmen und Bäume länger im Wald stehen lassen? Dazu auch: Pfeiler ökologischere Waldbewirtschaftung. Was sind die Auswirkungen, wenn wir den Wald weniger aktiv bewirtschaften und mehr Arbeit der Natur überlassen? Wenn wir mehr Waldflächen sich natürlich entwickeln lassen wollen, welche sollten das sein? Siehe auch Pfeiler Schutzgebiete. Mehr Naturnähe im Wald bedeutet, dass Laubbäume eine größere Rolle spielen. Was bedeutet dies für die Zusammensetzung des Waldes, die Kohlenstoffspeicherung im Wald und die Holzproduktion? – siehe auch Pfeiler Waldumbau.
Die Waldvision ist kein festes Ziel. Vielmehr stellt sie einen Prozess dar, in dem viele Stellschrauben für einen naturnahen, artenreichen und klimaschützenden Wald gestellt werden müssen. Um diesen Prozess zu gestalten, brauchen wir Anhaltspunkte, wie eine zukünftige Entwicklung aussehen kann. Dabei lernen wir unter anderem aus Beobachtungen der Vergangenheit, zum Beispiel aus Waldinventuren der Bundesrepublik Deutschland – siehe auch Informationen zum Modell – Datengrundlage.
Wir lernen auch durch Simulationen mit Computermodellen, die berechnen, wie sich der Wald unter bestimmten Bedingungen wahrscheinlich entwickelt. Jedes Modell ist eine starke Vereinfachung der Wirklichkeit. Es gibt Unsicherheiten in den Eingabedaten und unbekannte oder auch bekannte Einflussgrößen, die gar nicht berücksichtigt werden. Das gilt auch für das Modell FABio, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Öko-Institut entwickelt haben, um speziell Fragen der Waldentwicklung in Deutschland nachzuspüren – siehe auch Informationen zum Modell – Modellierung.
Die von Modellen dargestellten Szenarien stellen keine genaue Prognose der Wirklichkeit dar. Sie beschreiben vielmehr eine Wenn-Dann-Entwicklung und wir können durch sie lernen, wie sich der Wald unter bestimmten Bedingungen verhält. Die Waldvision ist dabei ein Szenario, das vom Öko-Institut im Rahmen des Projekts Waldvision Deutschland mit Greenpeace Deutschland entwickelt wurde. Es kann mit zwei Alternativen verglichen werden: einem Basisszenario und einem Holzszenario. Weitere Informationen zur Modellierung – siehe auch Informationen zum Modell – Szenarien.
Die Theorie vieler Fachleute ist: Werden die Wälder weniger intensiv genutzt, wachsen sie auch weniger gut. Die Modellergebnisse des Öko-Instituts deuten jedoch darauf hin, dass sich das Wachstum der Bäume durch eine weniger intensive Waldnutzung leicht verbessern könnte. Das liegt zum einen daran, dass die Wälder offenbar dichter werden können als wir annehmen. Zum anderen verbessert sich besonders das Wachstum der Laubbäume, weil sie im Alter häufig erst ihren stärksten Zuwachs ausbilden.
Ein höherer Zuwachs bedeutet, dass der Holzvorrat im Wald, also das in den Stämmen angelegte Holz, schneller zunimmt. In der Waldvision würde das zusätzliche Wachstum von rund acht bis zehn Prozent zunächst zum Aufbau des Holzvorrats genutzt, also im Wald belassen (siehe Abbildung). In der Zukunft würde auch die Menge an nachhaltig nutzbarem Holz wieder steigen.
Das Szenario Waldvision hat zum Ziel, die Nutzungsintensität des Waldes zu verringern. Das heißt, es sollen weniger häufig Bäume entnommen werden. Diese sind dann dicker und haben über die Zeit mehr Holz gebildet. Insgesamt, auf den Wald in Deutschland bezogen, bedeutet der stärkere Zuwachs des Holzvorrats in der die Waldvision, dass über die nächsten Jahrzehnte weniger Holz aus dem Wald entnommen werden kann als im Basisszenario. Je nach Baumart ist die Entnahme jedoch sehr unterschiedlich. Fichtenholz kann noch in gleicher Weise geerntet werden wie in den anderen Szenarien mit einer intensiveren Nutzung. Damit würden für diese Holzart nur geringe Engpässe für die Holzwirtschaft entstehen, etwa was Bauholz betrifft. Besonders Laubholz wird jedoch zunächst weniger geerntet werden (siehe Abbildung).
Die Umsetzung der Waldvision setzt voraus, dass durch effizientere Nutzung weniger Laubholz benötigt wird. Das ist eine wichtige Änderung zu heute. Die Hälfte des heute eingeschlagenen Laubholzes wird zur Erzeugung von Wärme verbrannt, oft in wenig effizienten Kaminen und Holzöfen. Nicht nur aus Naturschutz-, auch aus Klimaschutzgründen wäre dieses Holz im Wald besser aufgehoben. Insgesamt muss der wertvolle Rohstoff Holz in der Zukunft in sogenannten Kaskaden mehrfach genutzt und öfter als Baumaterial und weniger als Energieträger verwendet werden.
Heute steht deutlich mehr Holz im Wald als noch vor einigen Jahrzehnten. Dennoch könnten die Holzvorräte in einem natürlichen Wald weiter wachsen. Die Ergebnisse der Waldvision zeigen, dass die Bäume in Deutschland deutlich dicker werden könnten. Das gilt besonders für Laubwälder aber auch für Nadelwälder. Da in der Waldvision Laubholz weniger stark genutzt wird als Nadelholz, steigt der Anteil von Laubhölzern am Gesamtholzvorrat deshalb besonders.
Im Szenario Waldvision wird seltener geerntet, dafür aber dickere Bäume, die pro Eingriff mehr Holz liefern. Dadurch können die Eingriffe in das Ökosystem verringert werden. Mehr Holz im Wald bedeutet zugleich eine höhere Speicherung von Kohlenstoff.
Durch Photosynthese nehmen Bäume Kohlendioxid (CO2) auf und speichern Kohlenstoff im Holz. Dadurch wirken wachsende Wälder als sogenannte natürliche Kohlenstoffsenken. Sterben die Bäume ab, entweicht durch natürlichen Zerfall der Kohlenstoff wieder als CO2. Wird Holz entnommen kommt es darauf an, welche Lebensdauer die gefertigten Holzprodukte haben. Wird das Holz verbrannt, entstehen Emissionen von CO2. Eine Verschiebung der Nutzung zu mehr langlebigen Holzprodukten würde den Kohlenstoff nach der Ernte länger halten können. Im Jahr 2015 nahm der Wald in Deutschland so insgesamt etwa 53 Millionen Tonnen CO2 in Biomasse, Streu und Boden auf. Zusätzlich erhöhte sich der Holzproduktespeicher um 2 Millionen Tonnen CO2. Diese Senke würde sich bei einer intensiveren Nutzung verringern, besonders wenn der Anteil an Energieholz hoch ist.
Das Szenario der Waldvision sieht längere Lebenszeiten der Bäume im Wald und schonendere Eingriffe vor. Da die Bäume weiter wachsen, wenn sie nicht geerntet werden, hält auch die Senkenwirkung weiter an. So erhöht sich der Kohlenstoffvorrat im Wald und die Senke kann auf ähnlichem Niveau wie heute gehalten werden. Zwar wird weniger Kohlenstoff in Holzprodukte überführt wenn weniger Holz geerntet wird, doch werden diese Verluste durch den höheren Waldspeicher ausgeglichen.
Eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung der Waldvision, die aber nicht modelliert wurde, ist, dass die Holznutzung effizienter wird. Wenn Holz öfter recycelt wird, würde die Nachfrage nach frischem Holz verringert. Der verringerte Einschlag würde sonst eventuell zu mehr Holzimporten führen, die eine Intensivierung außerhalb Deutschlands bedeuten könnten.
Eine wichtige Klimaschutzwirkung der Waldbewirtschaftung, die ebenfalls nicht betrachtet wurde, entsteht durch die Verwendung von Holz anstelle von Aluminium, Stahl oder Beton. Dieser sogenannte Substitutionseffekt setzt voraus, dass diese Materialien mehr Emissionen verursachen, als die Verwendung von Holz an ihrer Stelle. Das ist für viele Materialien heute noch gegeben. Allerdings wird der Effekt in der Zukunft geringer werden, wenn mehr erneuerbare Energien vorherrschen.
Es ist für die Ökologie des Waldes nicht allein von Bedeutung, wie viele Bäume in ihm stehen. Viel wichtiger ist die Baumartenzusammensetzung und die Verteilung von Durchmessern und Höhen – also wie unterschiedlich dick und hoch die Bäume sind. Auch das Vorkommen von für den Naturschutz wichtigen Elementen wie alte und tote Bäume spielt eine Rolle. Insbesondere alte Laubbäume bilden zahlreiche Habitate für gefährdete Arten aus. Ist der Wald strukturierter ergeben sich für Lebewesen mehr Lebensräume als in einem gleichförmigen Bestand. Die Struktur des Waldes lässt sich durch die Bewirtschaftung steuern. Werden eher Einzelbäume genutzt, können kleine und große Bäume auf enger Fläche stehen und damit die Habitatvielfalt erhöhen. Flächige Nutzung von Bäumen, zum Beispiel durch Kahlschlag, erzeugt dagegen eher einen wenig strukturierten Wald.
In der Waldvision werden Bäume einzeln oder in kleinen Gruppen genutzt. Das führt zu einer Durchmischung von jungen und alten Bäumen aber auch zu einem kontinuierlichen Waldklima anderen ökologischen Vorteilen. So bleibt etwa auch der Boden geschützt. Die geringere Stärke von Eingriffen und zusätzliche Flächen ohne Holznutzung führen zudem dazu, dass es mehr alte Bäume gibt, die potenziellen Lebensraum für darauf angepasste Lebewesen bieten. Mittelfristig führt die Waldvision auch zu mehr abgestorbenen Bäumen – ein weiteres wichtiges Strukturelement im sich natürlich entwickelnden Wald.
Von Natur aus, also ohne die Eingriffe des Menschen, würde die Buche die Wälder Mitteleuropas an den meisten Standorten dominieren, teilweise in Mischung mit anderen Laub- und Nadelbaumarten. Durch die intensive Bewirtschaftung der Waldflächen sind in den vergangenen 150 Jahren an vielen Laubwaldstandorten einförmige Nadelbaumforste entstanden. In Deutschland etwa wächst die Buche nur auf etwa 16 Prozent der Waldfläche, Eichen auf 11 Prozent, hinter Fichte (28 Prozent) und Kiefer (23 Prozent). Fichten und Kiefern wachsen nicht nur schnell, sie sind auch durch ihre Wuchsform einfach zu ernten und zu verarbeiten.
In der Waldvision wird die Baumartenzusammensetzung größtenteils der Natur überlassen. Dort wo natürlicher Wiese Laubbäume wachsen würden, werden sie gezielt gefördert. Dies gilt auch für Nadelbäume an Standorten, wo sie natürlicher Weise heimisch sind. Wo sie das nicht sind, wird Laubwald gefördert. Dabei wird Nadelholz verstärkt herausgenommen und vorkommende Naturverjüngung von Laubbäumen im Bestand belassen. Es finden keine Pflanzungen statt. Bereits 2052 werden dadurch und in Kombination mit der extensiveren Nutzung Laubholzvorräte schon die Hälfte des Gesamtvorrats im Wald in Deutschland ausmachen.
Wälder wachsen langsam und Bäume leben lange. Selbst in intensiv bewirtschafteten Wäldern werden hierzulande Bäume meist erst im Alter über 70 Jahren geerntet. Eingriffe erfolgen im Abstand von mehreren Jahren, manchmal Jahrzehnten. Der heutige Wald in Deutschland ist das Abbild von über mehr als 100 Jahre wechselnden Bewirtschaftungsweisen. Das bedeutet auch, dass eine Veränderung in der Bewirtschaftung erst nach vielen Jahrzehnten überhaupt auf der ganzen Fläche greift. Werden z.B. junge Waldflächen unter Schutz gestellt und von der Holznutzung ausgenommen, werden Unterschiede zu bewirtschafteten Wäldern erst nach mehreren Jahrzehnten sichtbar.
Die Waldvision ist kein festes Ziel, das zu einem bestimmten Zeitpunkt als erreicht angesehen werden kann. Vielmehr ist sie als Prozess zu verstehen, in dem wir auch von der Entwicklung des Waldes lernen müssen. Einige Maßnahmen sollten prioritär und schnell umgesetzt werden: Alte Wälder, alte Einzelbäume und seltene Waldgesellschaften müssen geschützt werden solange sie noch existieren. Ein Drittel des deutschen Waldes ist in öffentlicher Hand. Hier können Maßnahmen schneller umgesetzt werden als im Privatwald für den es mehr wirtschaftliche Anreize und Überzeugung braucht.