Das Öko-Institut hat das Projekt Waldvision Deutschland im Auftrag von Greenpeace Deutschland umgesetzt. Das Ziel: Die Entwicklung eines Szenarios einer alternativen ökologischen Waldbewirtschaftung, genannt Waldvision, sowie dessen Umsetzung und Bewertung in einem datenbasierten Modell. Gestartet im Dezember 2015, liefert das Projekt nun nach seinem Abschluss eine Diskussionsgrundlage für die Entwicklung einer zukunftsfähigen und ökologischeren Forstwirtschaft in Deutschland.
Dazu wurde, ausgehend von den Ergebnissen der letzten Bundeswaldinventur (BWI-3), die Waldentwicklung von 2012 bis zum Jahr 2102 mit einem Waldwachstumsmodell simuliert. In alternativen Szenarien wurden ausgewählte Indikatoren, wie Zuwachs- und Vorratsentwicklung, Baumartenverteilung, Baumaltersklassenverteilung, Totholzvorrat, CO2-Speichervermögen und Holzaufkommen bewertet.
Seit 2015 entwickeln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Öko-Institut das Forestry and Agriculture Biomass Model (FABio). FABio ist ein Simulationsmodell, basierend auf der Software AnyLogic. Diese Software verbindet Methoden der systemdynamischen und agentenbasierten Modellierung. Das Waldmodell in FABio basiert auf Daten der Bundeswaldinventuren (BWI) von 2002 und 2012 (BWI-2 bzw. BWI-3). Es beschreibt das Wachstum einzelner, durch die Inventuren erfasster Bäume als sogenanntes distanzunabhängiges Einzelbaumwachstumsmodell. Dabei werden die Bäume als Agenten mit unterschiedlichen Eigenschaften wie Art, Alter, Durchmesser, Höhe etc. abgebildet. Die Entwicklung der Baumindividuen wird mittels Wachstumsfunktionen fortgeschrieben, in die der Durchmesser und die Höhe des Baums, aber auch Standortsbedingungen wie Bestandsdichte, Konkurrenz durch ältere Bäume und Bonität, also die relative Produktivität, einfließen.
Eine Reihe von Modellindikatoren beschreibt die Entwicklung des Waldes und dient dazu, die Modellergebnisse unterschiedlicher Szenarien bewerten und vergleichen zu können. Modelliert werden neben dem Holzvorrat und der Biomasse in Stämmen, Ästen, Blättern und Wurzeln auch der Zuwachs pro Jahr und die Senkenleistung (das heißt die Kohlenstoffbindungsrate) des Waldes. Durch die Verwendung eines Einzelbaummodells können allgemein Aussagen über die Änderung der Bestandsstruktur gemacht werden (Baumartenzusammensetzung, Durchmesserverteilung, Stammzahlverteilung, alte Bäume etc.). Totholzvorrat und -qualität sind zentrale Merkmale für die Bewertung von Biodiversität im Wald. Basierend auf einem Mortalitätsmodell können Aussagen über die anfallenden Mengen an Totholz getroffen werden. Zudem gibt es in FABio Module für die Berechnung des Kohlenstoffvorrats in Totholz, der Streu und im Boden.
Modelliert wird auch das Holzaufkommen, also die aus dem Wald potenziell erzielbare Erntemenge. Die Menge an geerntetem Holz kann für verschiedene Holzprodukte genutzt werden. Unterschieden werden Bau- und Möbelholz, Halbfabrikate, Papier und Pappe sowie Energieholz. Auch der in den Holzprodukten gespeicherte Kohlenstoff wird bilanziert.
Zur Beschreibung des Modells FABio des Öko-Instituts
Als zentrale Datengrundlage für die Beschreibung des Waldzustands, der Initialisierung und der Parametrisierung des Modells FABio des Öko-Instituts dient die Datenbank der Bundeswaldinventur (BWI) des Thünen-Instituts, die die Ergebnisse der Auswertung der BWI-2 (2002) und BWI-3 (2012) zusammenstellt. Die dritte Bundeswaldinventur stellt nach der zweiten Bundeswaldinventur die erste flächendeckende Erhebungswiederholung in Deutschland dar, die Aussagen über eine zeitliche Entwicklung des Waldes ermöglicht.
Das Inventurverfahren der Bundeswaldinventur basiert auf Stichproben in einem Basisnetz von vier mal vier Kilometern Länge. An den vier Ecken eines jeden Netzknotens werden Baummerkmale wie Baumart, Brusthöhendurchmesser, Baumhöhe und Anzahl der Bäume je Probepunkt erfasst. Zudem werden Daten zu Totholz (Totholztypen, Zersetzungsgrad, Durchmesserklassen), Habitaten (besonders geschützte Biotope) und Bäumen mit ökologisch bedeutsamen Strukturen (Biotopbäume wie Höhlenbäume) sowie Schutzgebieten und Nutzungseinschränkungen erfasst. Merkmale wie Eigentumsart, Bundesland oder bestehende Nutzungseinschränkungen stehen ebenfalls zur Verfügung.
Je nach Fragestellung und Rechenkapazität wird der in das Modell FABio eingespeiste Datensatz angepasst. Der Stichprobenumfang der Bundeswaldinventur ist repräsentativ für den gesamten Wald in Deutschland und den der meisten Bundesländer. Ist die betrachtete Region allerdings zu klein oder die Fragestellung zu detailliert, dann leidet die Repräsentativität der Stichprobe, so dass Aussagen für kleinräumige Fragestellungen nicht zuverlässig getroffen werden können.
Die in der BWI aufgenommenen Baumarten werden im Modell FABio zu 24 Baumartengruppen zusammengefasst. Das Modell wurde durch den Vergleich von Ergebnissen der BWI-2 und BWI-3 parametrisiert, sprich eingestellt. Dazu wurden die Koeffizienten des Wachstums- und Mortalitätsmodells für jede Baumart in einem Optimierungsproblem mit Wichtung nach Anzahl der Bäume für den Zeitraum von 10 Jahren bestimmt.
Das Modell FABio des Öko-Instituts die Waldentwicklung vom Jahr 2012 bis zum Jahr 2102. Es vergleicht drei Szenarien miteinander:
Das Basisszenario stellt ein Fortschreibungsszenario dar. Das heißt, die Entwicklung des Waldes schreitet nach heutigen Regeln kontinuierlich vor. Die Einstellungen zu Zieldurchmessern von Bäumen und zur Nutzungsintensität, das heißt der Häufigkeit und Stärke von Eingriffen in den Wald lehnen sich am Basisszenario der Waldentwicklungs- und Holzaufkommensmodellierung WEHAM an. Ein Waldumbau findet nicht explizit statt, das heißt der in der Vergangenheit von 2002 bis 2012 umgesetzte Waldumbau wird nicht aktiv ausgedehnt. Im Basisszenario wird davon ausgegangen, dass auf 4,1 Prozent der Waldfläche eine natürliche Waldentwicklung, also keine Holzernte stattfindet. Dazu werden neben Flächen, die bereits als Nationalpark oder Naturschutzgebiet ausgewiesen waren, auch aktuell ungenutzte Flächen ohne gesicherten Schutzstatus gezählt.
Das Holzszenario beschreibt den Wald unter der Annahme, dass die Bewirtschaftung intensiviert wird. Die Nutzungsintensität wird im Vergleich zum Basisszenario erhöht, indem Bäume mit einem geringeren Zieldurchmesser früher geerntet werden dürfen. Zudem werden Durchforstungsintervalle und Nutzungsgrade erhöht, das bedeutet, dass öfter eingegriffen wird und mehr Bäume pro Eingriff entnommen werden. Zudem werden Nadelbäume bei der Verjüngung der Bestände gefördert. Die Fläche ohne Nutzung verändert sich im Vergleich zum Basisszenario nicht.
Das Szenario Waldvision setzt eine ökologischere Waldwirtschaft in ganz Deutschland um. Dazu werden in allen Beständen die Zieldurchmesser erhöht, weshalb im Szenario Waldvision Bäume dicker und älter werden, bevor sie entnommen werden. Zudem werden Eingriffe im Wald verringert. So wird seltener geerntet und pro Eingriff werden weniger Bäume entnommen. Im Vergleich zum Basisszenario werden Laubbäume bei der Verjüngung von Beständen an ihren heimischen Standorten gefördert und Nadelholz verdrängt. Neben bestehenden Gebieten ohne Nutzung (siehe Basisszenario) werden im Szenario Waldvision zusätzliche Flächen aus der Nutzung genommen (12,5%). Die Auswahl dieser Flächen orientiert sich zum einen an bestimmten schützenswerten natürlichen Waldgesellschaften, wie Schlucht- und Auenwäldern, aber auch an der Naturnähe des Bestandes, dem Alter und der Zusammensetzung der Baumarten.
Die Szenarien wurden zusammen mit der Naturwald Akademie entwickelt.
Folgende Dokumente stehen zum Download bereit:
Das Öko-Institut hat am 28. Februar 2018 die Studie Waldvision Deutschland im Auftrag von Greenpeace Deutschland veröffentlicht. Darin zeigen die Expertinnen und Experten, dass die Wälder in Deutschland maßgeblich zum Klima- und Naturschutz beitragen können, wenn sie stärker geschützt und weniger intensiv bewirtschaftet werden. Am 23. März 2018 veröffentlichten 13 Professorinnen und Professoren des Wissenschaftlichen Beirats für Waldpolitik (WBW) eine Stellungnahme, in der sie das Waldmodell FaBio und die Methoden der Untersuchung stark kritisieren.
In seiner heute veröffentlichten Antwort zeigt das Öko-Institut, dass die Versuche des WBW die Methodenwahl, Datengrundlage und Annahmen der Studie Waldvision als "nicht evidenzbasiert" zu diskreditieren, fehlschlagen. Sämtliche, der wissenschaftlichen Arbeit zugrunde liegenden Methoden sind transparent und ausführlich auf der Webseite www.waldvision.de sowie in den dort verlinkten Berichten dokumentiert. Beschränkungen und Lücken in der Datenlage und in den getroffenen Annahmen sind nachvollziehbar offengelegt.
Mit seinem Ausblick auf das Jahr 2100 will die Studie Waldvision Deutschland die Diskussion zum Klima- und Naturschutz im Wald verbreitern und langfristig angelegte politische Handlungsansätze für die Zukunft aufzeigen. Die weit in die Zukunft reichende Analyse entspricht dabei den Gegebenheiten der Forstwirtschaft, in der lange Produktionszeiträume von vielen Jahrzehnten für das Wachsen und Ernten der Bäume angenommen werden. Die durch die Berechnungen entstehenden Unsicherheiten der alternativen Szenarien Basis, Holz und Waldvision werden in den Projektberichten diskutiert.
"Der Wissenschaftliche Beirat für Waldpolitik misst in seiner Stellungnahme mit zweierlei Maß", kritisiert Dr. Hannes Böttcher, Autor der Studie Waldvision am Öko-Institut. "Denn auch andere Modelle, die der WBW selbst für Analysen nutzt, verwenden die gleiche Datenbasis und weisen in den kritisierten Punkten Lücken auf. Sie werden damit der in der Stellungnahme angelegten Messlatte ebenfalls nicht gerecht. Trotzdem wird diesen Modellen die Eignung für die Politikberatung nicht abgesprochen."
In seiner Stellungnahme widerlegt bzw. entkräftet das Öko-Institut die angeführte Kritik des WBW im Detail. In der Summe können die Ergebnisse der Studie Waldvision als transparent dargestellt, fachlich nachvollzielbar und in ihrer Aussage als richtungssicher angesehen werden. Dies gilt insbesondere auch für das alternative Szenario Waldvision.
Das Öko-Institut betont zudem die Bedeutung von Szenarien für die politische Entscheidungsfindung: "Der WBW, als Berater der Bundesregierung für die Ausgestaltung einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Wälder, sollte eine Vielfalt von Modellen und Szenarien begrüßen", so Böttcher weiter. "So können mögliche Entwicklungen als ein Korridor beschrieben werden, in dem der Wald heute und in Zukunft seine ökologischen und ökonomischen Potenziale entfalten kann. Die Studie Waldvision Deutschland trägt damit zu einer Verbreiterung der Diskussion um den Klima- und Naturschutz im Wald bei."
Dr. Hannes Böttcher
Dr. Klaus Hennenberg